McQueen: Wie Seán McGirr das modische Erbe von Alexander McQueen fortführt.
In Paris hat es die ganze Woche nur geregnet – so lange, bis wirklich jede Platane in den Tuilerien ihre Blätter verloren hat –, aber an dem Abend, als Seán McGirr seine Frühjahr-2025-Kollektion für Alexander McQueen an der Seine gegenüber dem Louvre präsentiert, zeigt sich die Stadt von goldenem Septemberlicht durchflutet. Vielleicht hilft das dem 36-jährigen Dubliner, der vor knapp einem Jahr von JW Anderson geholt wurde, so gelassen auszusehen, während er François-Henri Pinault, dem Vorsitzenden und CEO der Kering-Gruppe, zu der McQueen gehört, reihenweise Heritage-Design-Stücke zeigt und in seinem freundlichen irischen Tonfall erklärt, wie er diese abgewandelt hat: Jermyn-Street-Smokings mit geschwungenem Revers; Kommunionskleider aus gewagten, durchscheinenden Kreppstoffen; Rugby-Tops mit Rüschen im Eton-Stil.
Hinter den Kulissen der Alexander-McQueen-Show
Aber vielleicht ist McGirrs entspanntes Äußeres auch nur relativ. Bis zur Show in der École nationale supérieure des beaux-arts bleiben weniger als 20 Minuten, und die Rufe der Paparazzi, die jede einzelne VIP-Ankunft begleiten, hallen durch den neoklassischen Hof. Hinter der Bühne bewegen sich die Mitarbeiter:innen von McQueen mit ihren Nadelkissen so schnell, dass die über die Schultern geworfenen Maßbänder hinter ihnen flattern wie Luftschlangen; Models in Badeanzügen stehen in Warteposition; und in einer Ecke des Raumes schneiden Stickerinnen die Silberfäden des Banshee-Kopfschmucks zu, der den Abschluss der Show bilden wird.
PERSPEKTIVWECHSEL
Seán McGirr, seit einem Jahr bei McQueen
Selbst inmitten all des Trubels sticht dieses Element heraus – sowohl eine Hommage an die nächtlichen Londoner Rebellen als auch eine Anspielung auf "Lee" Alexander McQueens eigene Banshees aus seiner Herbstpräsentation aus dem Jahr 1994, seiner zweiten Laufsteg-Show überhaupt, im Nachtclub "Café de Paris" am Leicester Square. Heute bewachen allerdings mehr Sicherheitsleute das schmiedeeiserne Tor der École nationale, als die Show vor 30 Jahren Gäste hatte. Als ich hinausgehe, kommt gerade Salma Hayek, die Blitzlichter der Paparazzi verwandeln ihr Paillettenkleid in eine Discokugel, und als ich zurückkehre, hat sich McGirr in den Backstage-Bereich zurückgezogen, um sich für die Urteile der Branchenweit zu wappnen.
Einblicke in die kreative Welt von McQueen
Während der Monate, in denen ich den Designer über das letzte Jahr begleitet habe – zwischen seinem Debüt im März und seiner wichtigen zweiten Kollektion im September –, hat er sich nur ein einziges Mal den Druck anmerken lassen, unter dem er stand, kurz vor der zweiten Show. "Ich bin morgens um sieben reingekommen und habe meiner Mitarbeiterin gesagt: 'Wir müssen alles einreißen und komplett neu aufbauen'", erzählte er mir keine 72 Stunden vorher mit seiner üblichen Fröhlichkeit. Wir saßen auf einer unscheinbaren Couch im dritten Stock von McQueens temporärem Atelier in Saint-Germain, umgeben von Model-Boards und Knopfkistchen. Obwohl McGirr, ein bekennender "Fashion-Week-Raucher", in den Tagen davor wahrscheinlich mehr "Marlboro Golds" geraucht als Stunden geschlafen hatte, war er voller Begeisterung für alles, von den Birdee-Absätzen, die er mit einer Art Irokesenschmuck aus Lederfedern gestaltet hatte, bis zu einer neu entwickelten, von Louise Bourgeois inspirierten Spinnweben-Spitze. Er vereint die klassischen irischen Farbtöne – helle Haut, dunkle Haare und meerblaue Augen –, und er vermittelt den Eindruck, ständig in Bewegung zu sein. Heute trägt er ein gebatiktes T-Shirt von McQueen mit einem gestickten umgekehrten Totenschädel mitten auf der Brust, Skinny Jeans und Sneaker. "Ich habe extraviel McQueen getragen", sagt er. "Es ist wichtig zu sehen, wie die Sachen sitzen, und auch einzelne Dinge zu verbessern: Manchmal sind die Stücke am Ende nicht so, wie man sich das gedacht hat." Ein Grübchen auf der rechten Wange, das zum Vorschein kommt, wenn er lächelt, was er oft und gern tut, unterstreicht seine elfenhaften Züge.
So entwaffnend warmherzig er ist, so anspruchsvoll ist er auch. In den Stockwerken unter uns werden seinen Anweisungen folgend Totenkopfmasken aus elfenbeinfarbenem Kaschmir gestrickt und meterweise Organza per Hand bearbeitet, um den Eindruck von Shearling entstehen zu lassen. Das Team hatte gerade drei Tage an Anproben hinter sich, als McGirr über Nacht entschied, alles neu anzupassen – nicht um Sand ins Getriebe zu streuen, wie er versichert, sondern einfach um sicherzugehen, dass auch das letzte Detail so funktioniert wie beabsichtigt. Dieser Prozess wurde ihm von Louise Wilson eingeschärft, dem legendären menschlichen Schmelztiegel für Design-Genies am Central Saint Martins. (Weitere Protégés von Wilson waren u.a.: Christopher Kane, Jonathan Saunders, Simone Rocha – und, ja, Lee McQueen, der in ihrer ersten Abschlussklasse von 1992 war. McGirr gehörte zu ihrer letzten Klasse, bevor sie 2014 verstarb.)
"In den Unterrichtsstunden sagte sie immer wieder: 'Nein, das stimmt so nicht … Das ist noch nicht richtig' – aber in der vulgärsten Ausdrucksweise, wie ein Fußball-Hooligan", erinnert sich McGirr. Das war der heftigste Härtetest, den er je durchlaufen hat. "Sie sagte Sachen wie: 'Mach einfach den Job, verdammt noch mal. Mach's einfach.' Sehr praxisnah."
SCHWERE KRÄFTE
Die Schauspielerin Raffey Cassidy, die in dem Film "Der Brutalist" zu sehen ist, trägt ein besticktes Tüllkleid mit Neckholder von McQueen; Alexandermcqueen.com
GROSSER AUFTRITT
Florence Sinclair trägt eine bezaubernde Spitzenbluse und einen silbernen Tropfenohrring, der einer englischen Rose nachempfunden ist – ein Markenzeichen des Hauses.
Als Kering 2023 bekannt gab, dass Sarah Burton McQueen verlassen würde, fragten sich viele, ob irgendein Designer von außerhalb dieses geschichtsträchtigen Hauses überhaupt diesen Job machen könnte. Wenn man in der Modebranche von Codes spricht, dann ist McQueens Code ein ganz besonders schwieriger, den ein:e Kreativdirektor:in erst einmal knacken muss. Auch wenn sich im Februar 2025 Lee McQueens Tod zum 15. Mal jährt, hat sein emotionaler Einfluss auf die Kultur im Allgemeinen Bestand: Seine Shows "Highland Rape" und "The Hunger" haben in den Köpfen von Modejournalist:innen der Generation X noch immer ihren Platz als die elektrisierendste 90er-Jahre-Mode überhaupt; Millenials, die Mühe hätten, eine "2.55" von Chanel von einer Dior-"Lady" zu unterscheiden, warteten bis zu sechs Stunden in endlosen Schlangen, um "Savage Beauty" im Costume Institute des Metropolitan Museums zu sehen, und Gen-Z-TikToker:innen machen McQueens Totenschädel-Schals zu ihrer kompletten Persönlichkeit (obwohl manche noch nicht einmal geboren waren, als Karen Elson mit einem solchen um ihre Piratenhose gewickelten Tuch über den Laufsteg schwebte).
Alexander McQueen: "Mir wäre es lieber, wenn Leute meine Shows verlassen, um sich zu übergeben."
Natürlich kann man Lee McQueens Story schwerlich vergessen, schließlich sind seine Widersprüche endlos mythologisiert worden: Da war dieser Savile-Row-Lehrling, der die Schnitttechniken, die er erlernt hatte, um englische Herrenanzüge zu schneidern, zur Kreation der berüchtigten Bumster-Hosen verwendete; der sich nach extremen Reaktionen auf seine Entwürfe sehnte (nur keine Gleichgültigkeit: "Mir wäre es lieber, wenn Leute meine Shows verlassen, um sich zu übergeben", sagte er einmal. "Ich möchte Herzinfarkte. Ich will Krankenwagen."), der aber auch eine Auswahl an Ballkleidern für Target entwarf; einer, dessen Herkunft aus dem Londoner East End kombiniert mit seinem keltischen Erbe das britische Klassensystem und Empire in Fetzen riss, dessen Vermächtnis aber unauflösbar mit Leuten wie Isabella Blow oder Stella Tennant aus der Oberschicht verbunden ist.