Superstar verzichtet auf große Promotion
Schleichweg in die Charts: Ed Sheerans neues Album kam ohne Vorboten
Superstar unter den Songwritern: Ed Sheeran hat vergleichsweise still ein neues Album auf den Markt gebracht. "Autumn Variations" kam ohne Vorabsingle und die übliche Großpromotion.
Normalerweise rollen Ed-Sheeran-Alben mit Vorabsingles und großem Werbeaufwand heran. „Autumn Variations“, schon das zweite Album des englischen Songwriters in diesem Jahr, wurde deutlich dezenter beworben und blieb von vielen unbemerkt. Warum?
„Es gibt ein neues Album von Ed Sheeran?“ fragt die 20-jährige Lena überrascht. Die Jurastudentin aus Berlin ist Sheeran-Fan seit seinem „Hobbit“-Filmsong „I See Fire“ (2013). Nein, sie habe keine „signals“ mitbekommen. Keine neuen Songs. Nirgendwo ist sie an großen Plakatwänden vorbeigekommen. Keine Ankündigungsvideos habe sie gesehen. Es sei nicht so, dass sie noch alle paar Tage bei ihm auf Instagram nachschaue. Könne also sein, dass ihr da was durchgerutscht sei. Aber ein Ed-Sheeran-Album – durchgerutscht? Echt jetzt?
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Zwei Alben pro Jahr kommen so gut wie nie vor
Vielleicht haben die meisten einfach noch nicht mit einem neuen Werk aus der Feder des 32-Jährigen gerechnet. Sheeran hatte doch gerade erst am gefühlt vorletzten Freitag – es war der 5. Mai – eines veröffentlicht. Das „Subtract“-Album, Abschlusswerk seiner nach den vier Grundrechenarten (plus dem Gleich-Zeichen) benannten Albumserie. Seit den Sechzigerjahren kommen zwei Alben pro Jahr so gut wie nie vor.
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Im Frühjahr hatte man die Werbung für „Subtract“ als allgegenwärtig wahrgenommen. Mit „Eyes Closed“ und „Boat“ hatte es zwei Vorabsingles samt Videos gegeben. Parallel hatte Disney+ eine sehr anrührende Sheeran-Dokuserie über den Hintergrund jenes sehr persönlichen Albums online gestellt, eine Geschichte über den Werdegangs des Künstlers und die Brüchigkeit des Glücks, über Sorgen um seine an Krebs erkrankte Ehefrau – samt Happy End und Neujahrswünschen zum Schluss der letzten Episode.
„Der Herbst kommt“ verkündete Ed Sheeran im August
Jetzt also die „Autumn Variations“ – die erste Albumveröffentlichung auf seinem eigenen Label Gingerbread Man Records. Bei Instagram stößt man nachgerade auf den Hinweis „Autumn is Coming“ für den 1. August, am 16. August findet man bei Sheerans Twitter- und Youtube-Account ein Fake-Videoclip des „Gingerbread Man Shopping Center“, wo der Sänger einen „Damper Hamper“, eine feuchtkalte Holzkiste mit allerlei Herbsttypischem für 9 Dollar, 29 Cent anpreist. Am 19. August wirbt er dann in einem weiteren mysterlösen Video für „Herbsturlaub“ im grauen England. Später erzählt er, er habe ein paar „Damper Hamper“ ausgeliefert.
Am 22. August wurde „Autumn Variations“ dann offiziell für den 29. September angekündigt – mit dem vergleichsweise knappen Vorlauf von fünf Wochen. Inhaltliches Vorbild seien die 1898 komponierten Enigma-Variationen des britischen Komponisten Edward Elgar gewesen. Jedes der 14 Stücke dort war einem Freund oder Bekannten Elgars gewidmet. So verhalte es sich auch bei Ed Sheerans 14 neuen Liedern. Freundschaftspflege in Songs.
Sheeran wollte ein Album frei von allem Druck veröffentlichen
Diesmal freilich gab es keine Single und keinen Clip bis zum Veröffentlichungstag. Auch gab es wenig an Interviews zu lesen, war Sheeran doch bis zum 23. September noch in den USA auf „Mathematics“-Tour. Kann sich der Songwriter-Superstar der Zehnerjahre, eine solch relativ verschwiegene Veröffentlichungspolitik leisten, weil er längst ein Selbstläufer ist?
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Wollte Sheeran mal ausprobieren, wie tief ein eher diskret beworbenes Album einschlägt? Wollte er sich selbst nicht zweimal im Jahr dem Promo-Stress aussetzen oder den Menschen nicht zweimal im Jahr eine monatelange Omnipräsenz zumuten? Die Promotion sei schon bewusst reduzierter ausgefallen, heißt es auf RND-Anfrage seitens der Plattenfirma. Sheeran habe einmal frei von allem Druck veröffentlichen wollen.
Weder ein Knaller aus dem Nichts noch ein perfekt getimtes Release-Drama
Es wirkt insgesamt wie eine vom Künstler nicht so ganz gut geplante Überraschung. Weder ist „Autumn Variations“ ein Knaller aus dem Nichts, wie er – beispielsweise – Beyoncé Knowles 2013 mit ihrer Mitternachtsveröffentlichung (New Yorker Zeit) ihres Albums „Beyoncé“ gelang, einem Coup mit null Sekunden Vorlaufzeit, über den angeblich nur zehn Personen und keiner bei der Plattenfirma Sony Bescheid wussten.
Noch wurde aus „Autumn Variations“ eine perfekt getimte Großinszenierung mit Rätselraten, Countdowndrama, Miniclips, Großprojektionen auf Gebäuden auf der ganzen Welt und Weltpremiere der ersten Single wie zuletzt bei der Ankündigung der kommenden Rolling-Stones-Platte „Hackney Diamonds“, die am 20. Oktober erscheinen soll.
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Der Künstler hat die Aura eines Kumpels, ist aber selbstbewusst, wenn‘s um seine Musik geht
„Silence ain‘t golden“ singt Ed Sheeran im neuen, melancholischen Song „Blue“. Nein, Schweigen ist eigentlich nicht so sein Ding, wenn es um seine Musik geht. Zwar hat der Künstler die Aura eines Kumpels für einen Pint im Pub, und ist auch einer, der gern für Hauskonzerte vorbeischaut, wie am Montag online gestellte Youtube-Clips beweisen, in denen er auf dem Sofa von Fans neue Songs zur Gitarre spielt.
Aber er weiß eben auch, was er besser kann als die meisten seines Fachs, liebt seine Arbeit leidenschaftlich und hält seine Erfolge normalerweise hoch. Dass er beispielsweise so kreativ ist, selbst einen Supersong wie „Love Yourself“ getrost Justin Bieber überlassen zu können, erzählte er im Vorjahr beim „Mathematics“-Konzert im Münchner Olympiastadion. Und in der muckeligen Danny-Boyle-Komödie „Yesterday“ spielte er sich selbst als den größten Songwriting-Konkurrenten von John Lennon und Paul McCartney.
Die „Autumn Variations“ klingen weniger herbstlich als der Vorgänger
Wie das Album nun ist? Es ist soundbunter, vielseitiger, poppiger als der ebenfalls mit The-National-Mitbegründer Aaron Dessner produzierte Vorgänger. Das akustische, monotonere „Subtract“ klang jedenfalls deutlich herbstlicher als so manche der lieblicheren „Autumn Variations“. Vom poppigen Opener „Magical“ über das folkige „Blue“, „Punchline“ mit Simon-&-Garfunkel-Flair und das mellow gerappte „That‘s on Me“ bis hin zum Outtro „Head / Heels“ mit Piano und Synthbeats geht alles gut ins Ohr.
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Fulminante Midtempo-Songs wie „Amazing“ oder „England“ wechseln mit zarteren Liedern wie „Plastic Bag“, oder „Spring“. Sheeran kann Melodie – manches prägt sich gleich ein, anderes muss noch warten, zieht aber gewiss bald nach. Textlich Komplexeres, das selbst auf dem Pop-Superseller „Divide“ zu hören war, wird vermisst. Alles ist halt persönlich, und das England im Song „England“ ist halt nicht ein Sozialfall sondern steht nur im Ruf, im Herbst, aber nicht nur dann, kalt und verregnet zu sein.
Passend zur Veröffentlichungsweise gab es auch keine Review-Flut wie sonst: Für den „Spiegel“ klingt das neue Album „wie Weihnachtszuckerware im Spätsommer: zu viel, zu früh – und viel zu süß“, das Magazin spricht von „Wohlklangseinerlei“. Die britische Tageszeitung „The Guardian“ billigt Sheeran weiterhin Talent für Hooklines und Refrains zu, befindet das neue Album aber lyrisch frei von Witz und zuweilen angestrengt gefühlvoll.
„Das Schlimmste aber ist“, schreibt die Autorin, „dass das Album mit textlichem Mumpitz übersät ist. ‚Die Samstagnacht gibt mir einen Grund, mich aufs Stroboskoplicht zu verlassen‘, heißt es im Refrain des Songs ‚Plastic Bag‘, in dem es um einen missmutigen Zeitgenossen geht, der für Wochenendpartys lebt. Das reicht aus“, ätzt der „Guardian“, „um sich nach der ChatGPT-überladenen Zukunft des Pop zu sehnen.“
Das Cover des Albums "Autumn Variations" von Ed Sheeran.
Quelle: -/Gingerbread Man Records/dpa
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„Das ist doch alles sehr schön“, sagt dagegen Fan Lena, die sich am späteren Montagnachmittag bei Spotify bereits zweimal durch das Album gehört hat. Sie sei aber „noch nicht so deep“ in den Texten. Wo „Autumn Variations“ in ihrer Rangliste der Sheeran-Alben landen wird, ist noch nicht ausgemacht. Dass es bald auf dem ersten Platz der Charts stehen wird, ist für sie indes unstrittig.